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Rillen mit Brillen | Plattenfischen

  • Axel
  • 8. Feb. 2022
  • 7 Min. Lesezeit

Es ist wieder einer dieser Abende. Man liegt auf der Couch und zappt endlos durch die Mediatheken, weil im TV nur Bullshit läuft. Und plötzlich erscheint dieser Name auf dem Screen.

DERRICK

Ist es die Möglichkeit? Alle Derrick-Staffeln seit Anbeginn der 70er, fein säuberlich in Reih und Glied in die Mediathek drapiert? Der weitere Verlauf des Abends war somit ad hoc in die Spur gebracht. "Mitternachtsbus", "Johanna" und das schier unglaubliche "Stiftungsfest". Das ist anno 2022 so inspirierend schlecht, das ich mich noch Tage später beim Versuch ertappe, ebenso herablassend kühle Sprüche in meinem Umfeld zu platzieren, wie es einst Hauptkommissar Stephan Derrick an seinen "Klienten" oder dem guten Harry perfektionierte. "Alter geiler Bock", hahaha. Das ging auch nur in den 70ern. Tja, und nun schaut mir der deutsche Columbo schon seit gut zwei Jahren mit treuem Tränensackblick durch seine Altherrenbrille bei der Arbeit zu. Als pixeliges Desktopbild, den Miniaturcolt im Anschlag. Und verteidigt mich gegen übereifrige Putzfrauen, die das Chaos an meinem Arbeitsplatz in Ordnung bringen wollen. So manch eine hat er tatsächlich schon verschreckt... und brachte mich heute auf die Idee für eine brillanten "Plattenfischerei"...

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RILLEN MIT BRILLEN

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In den Genuss eines Derrick-Scores kam ich leider bislang noch nicht. Gibt es den überhaupt? Also muss ich woanders beginnen. An der Wand lehnt RANDY NEWMAN. "Sail Away". Ja, da haben wir sie doch schon. Die erste olle Brille. Fragt mich nicht nach Hersteller und Modell. Als Nichtbrillenträger bin ich da raus. Aber es ist ein Modell, wie man es heute wirklich nicht mehr trägt. Vielleicht noch bei Vibravoid und King Gizzard and the... ihr wisst schon. Newman auf jeden Fall beweist auf dieser Platte trotz sperrigem Gestell den Durchblick und reiht Hit an Hit. "You can leave your hat on" - klar - das kennt man spätestens seit Joe Cocker. Aber die eigentlichen - Achtung Wortspiel - Brillanten des Albums sind für mich "Old Man" und der "God's Song", mit seinem herrlich zynischen Text über die unergründlichen Wege Gottes.

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Weiter geht's. Versuchen wir's mal in der Abteilung Italo-Prog. Italiener hatten in den 70ern ja auch gerne Mut zur Hässlichkeit. Oder einfach ein unfassbares Modebewusstsein. Gerade der Brillengeschmack liegt ja sprichwörtlich immer im Auge des Betrachters, bzw. direkt davor. Kleinen Moment... oh ja... da hab ich wieder eine. BANCO DEL MUTUO SOCCORSO (uff) mit ihrem schlicht "Banco" betitelten Album von '75. Auf dem Cover steht nicht die Brille im Zentrum, sondern der Schuh. Sänger Francesco Di Giacomo (vermutlich nackt und nur mit Hut und schiefem Nasenfahrrad bekleidet) wirft ihn in die Höhe und freut sich des Lebens. Grund zur Freude hat er auch, denn BANCO ist anno 1975 auf dem Zenit. Man hat viele tolle Alben wie "Darwin" und "Lo Song Nato Libero" in der Diskographie und glänzt mit Titeln wie dem fantastischen "Metamorphosis".

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Dass zwischen Freud und Leid manchmal ein ziemlich schmaler Grat liegt beweist das folgende Exemplar. Ich ziehe "Season of Glass" von YOKO ONO aus dem Schrank. Auf dem Cover zu sehen ein Stillleben aus einem halbvollen (halbleeren?) Wasserglass und einer blutverschmierten Brille, aufgenommen vor der diesigen Skyline New Yorks. Es ist nicht irgendeine blutverschmierte Brille, sondern die Brille John Lennons, der nur ein halbes Jahr vor Veröffentlichung der LP von einem manischen "Fan" vor dem gemeinsamen Apartment im New Yorker Dakota Building erschossen wurde. Ono selbst hat das Coverfoto dort arrangiert und fotografiert. In diesem Kontext wirkt das gesamte Album unbequem und bedeutungsschwer, was sich in Songs wie "No No No" niederschlägt, die das unfassbare Erlebte im sperrigen Rhythmus aufarbeiten.

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Ein Schwenk in die Jazz-Abteilung offenbart im Folgenden ein wahres Sammelsurium an alten Männern mit Brillen. Okay, das Gestell auf Billy Cobham's "Simplicity Of Expression" ist wirklich mächtig, dennoch greife ich einen Buchstaben weiter und ziehe AL DI MEOLA's "Land of the Midnight Sun" raus. Ein Cover wie ein Heiligenbild. Der Schutzheilige des Fusion mit farbenfroh getönter Pilotenbrille. Ich liebte Al Di Meola schon immer wegen seiner sakrosankten Optik, die nichts dem Zufall überließ. Und Gitarrespielen kann der Junge ... äh Alte ... dann ja auch wie ein junger ... äh alter Gott. Mein Lieblingsalbum ist wohl "Casino", aber "Land of the Midnight Sun" kann ich mir auch nach wie vor gut geben. Es ist halt toller, virtuoser Jazzrock voller Magie. Abgehoben und nahbar zugleich. Wie meistens bei Di Meola: Der Anspieltipp ist das ganze Album.

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Nun wird es heavy. Reden wir über alte Männer, müssen wir an dieser Stelle auch über DIE immer noch aktiven Brontosauren der Metal-Szene sprechen. JUDAS PRIEST. Seit Urzeiten ist die Sonnenbrille ein fester Bestandteil des Leatherboy-Looks von Frontmann Rob Halford. Und ist bis heute sein Markenzeichen geblieben. Wie es ein richtiger Rockstar eben so tut, trägt er auch in der schummerigsten Backstage-Katakombe artig das dunkle Glas, damit ihm keiner zu tief in die kleinen Pupillen schaut. Als Beispiel für Halfords Look (damals natürlich noch ein paar Jährchen jünger) zieh ich mal die "Unleashed in the east" Live-LP aus dem Regal - mit ihrem ikonischen Cover, das alles bündelt, wofür Judas Priest stehen. Schiere Energie, brettharte Gitarren im nebulösen Scheinwerferlicht und ein Frontmann mit Sonnenbrille, der sich seinerzeit nicht zu unrecht den Namen "Metal God" geben ließ. Klare Sache, dass sich die Dynamik des Covers auch in den 9 Songs entlädt. Man höre nur mal die Versionen von "Exciter" oder "Diamonds and rust". Da beschlägt jede Sonnenbrille.

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Nach so viel Testosteron schleiche ich erst mal am ruhigeren Abteil entlang... und hab auch schon die nächste Idee, welche Platte ins Raster passen könnte. Klar, "Pendulum" von CREEDENCE CLEARWATER REVIVAL. Da hält doch mindestens einer der Truppe eine in die Jahre gekommene Sehhilfe in die Linse, oder? Richtig gelegen. "Pendulum" war lange Jahre das erste und einzige Album von CCR, das ich besaß, bevor Klassiker wie "Cosmo's Factory" & Co. hinzukamen. Ich hab die LP vor vielen Jahren mal auf einer Plattenbörse eingesackt. Vielleicht war es der erwartungsvolle, auffordernde Blick der vier Bandmitglieder auf dem Cover, der mir das Gefühl gab einen Fehler zu machen, wenn man die Platte stehen lässt... Auf jeden Fall muss ich gestehen, dass ich "Pendulum" schon seit Ewigkeiten nicht mehr aufgelegt habe. Das muss sich ändern. Während die Nadel durch die Rillen fährt und das hardrockende "Pagan Baby" erklingt, bemerke ich zum ersten Mal, wie sehr Bassist Stu Cook auf diesem Motiv (links im Bild, mit Bart und Brille) John Lennon ähnelt. Und natürlich wie sträflich dieses von vorne bis hinten wunderbare Album bei mir untergegangen ist...

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Ach komm, ich geh doch noch mal zurück in Richtung Jazz und blättere ein wenig durch meine Fusion-Platten. Schnell fällt mir der begnadete Lary Coryell in die Hände. In diesem Fall eine Platte seiner damaligen Band THE ELEVENTH HOUSE, mit der er zwischen 1973 und '76 aktiv war und kurz vor seinem Tod 2017 noch einmal spät aktiv werden sollte. Ich hab das '75er Album "Level One" rausgepickt. Meiner Meinung nach das Beste aus der damaligen Ära. Auf dem Cover zielsicher im Zentrum platziert: Meister Coryell mit dicker Hornbrille. Auf der Rückseite dann noch mal in größer, mit bestem Einblick in die polypenfreien Nasenlöcher, die Coryell stets einen guten Riecher bescheren sollten. Wunderbar. So sperrig das Sehglas, so geschmeidig der gitarrenfokussierte Jazzrock auf "Level One", den ich mir immer wieder gerne reingebe. Was Larry Coryell auf der Gitarre ableistet, das ist schon aller Ehren wert. Sehr lebendig, sehr inspirierend und zu jeder Sekunde spannend. Wie auch die Platten von Al Di Meola - der übrigens maßgeblich von Coryell beeinflusst wurde - bekommt man die meisten Werke, an denen Larry Coryell mitgewirkt hat, zum Spottpreis hinterhergeworfen. Da macht man auch beim blinden Zugreifen wirklich nichts verkehrt... wenn man die eigene Brille mal nicht zur Hand hat.

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Auf dem Neuzugänge-Stapel offenbart sich dann noch eine weitere 'Langrille mit Brille': "Come and taste the band" von DEEP PURPLE. Das einzige Album mit US-Gitarrist Tommy Bolin, der anno 1975 in die übergroßen Blackmoreschen Fußstapfen treten musste und seinerzeit viel frischen Wind in die Band bringen sollte. Das schmeckte natürlich nicht jedem. Purple klangen halt auf einmal nicht mehr wie Purple. Sondern eher wie rot-weiß-blau mit Sternchen. Vielleicht ein wenig wie eine amerikanische Version von Bad Company? Ich hab die Scheibe auf jeden Fall bis jetzt rund fünf Mal gehört, aber so richtig hat sie mich noch nicht gepackt. Daher ist und bleibt mein Favorit auf "Come and taste the band" ein relativ klassiches Purple-Stück - "Love Child" mit seinem majestätischen Proto-Metal-Riff. Für mich tatsächlich einer der besten Purple-Songs überhaupt. Nun aber zurück zum eigentlichen Thema. Über den Brillengeschmack von Schlagzeuglegende Ian Paice ließ sich wahrscheinlich schon immer streiten. Aber das Modell, das er uns auf dem Cover von "Come and taste..." präsentiert, das ist echt auch schon für damalige Verhältnisse die Härte. Okay, als wirklich einziges Bandmitglied, das bis heute auf jedem Purple-Album zu hören ist, ist Paice ohnehin unantastbar. Diese Aura spürten damals wohl auch schon seine Bandkollegen und ließen ihn beim Shooting gewähren...

DIE SCHOKOLADE DANACH
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Bevor ich mich gleich noch auf die Suche nach Covern mit alten Klobrillen begebe, nun der Schwenk zur Schokolade. Denn dieser Blog würde nicht "Vinyl & Chocolate" heißen, würde ich nicht neben den entsprechenden Platten eine zum Thema passende Schokolade zücken. Und hiermit schlage ich den Bogen zurück zu Stefan Derrick. Würde er heute noch leben, welche Sorte würde ihm gefallen? Welche Schokolade müsste ihm der gute Harry nach der Überführung des Täters aus dem Auto holen? Vielleicht eine schnöde "Traube-Nuss"? Oder eine mit Eierlikör oder Kirschwasser? Nein, Stefan Derrick ist ein gestandener Ermittler, der sich (und Harry) nichts mehr zu beweisen braucht. Daher kein Brimborium, keine Komplexität - und bloß kein Experimentierwille. Derrick schwört natürlich - und zwar ausschließlich - auf Sarottis "Schwarze Herrenschokolade". Und hier sind wir spätestens an dem Punkt angekommen, an dem sich Derricks und meine Wege trennen. Denn ich finde diese Schokolade ziemlich scheußlig. Und mit nur 60 % Kakao auch nicht wirklich das, was ich unter einer "schwarzen" Schokolade verstehen würde. Eine dunkle Schokolade, wie sie nicht anbiedernder für den Mainstream-Gaumen gemacht sein könnte. Der Zucker knallt durch und tötet noch das letzte Kakaoaroma. Und ich möchte mal behaupten, dass das exakt so gewollt ist, da der Billigkakao aus afrikanischem Fließband-Anbau einfach nichts Besonderes zu bieten hat. Der Begriff "Herrenschokolade" ist heutzutage ebenso in die Jahre gekommen, wie sein Hersteller. Früher dachte man, dass Schokolade eher was für Frauen und Kinder sei. Damit Mann nicht zu kurz kommt, wurde ihm eine Vorliebe für besonders intensive Schokoladen angedichtet. Schokolade, die nur so vor männlichen Attributen strotzt: kräftig, herb, charaktervoll. Genderparty galore.



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