Da steckt Schokolade drin | Plattenfischen
- Axel
- 30. Jan. 2022
- 8 Min. Lesezeit
Wie das am Anfang einer langen Reise so ist. Man muss die Taschen packen. Was ist sinnvoll, was nutzlos? Man plant, man verwirft. Man plant um, packt aus, packt wieder ein. Und irgendwann ist man startklar. Mit den hoffentlich richtigen Sachen an Bord.
So geht es mir aktuell. Ich stehe am Anfang dieses Blogs, hab mir Gedanken gemacht, was spannend sein könnte, was euch - und natürlich auch mich - in unser kostbaren Freizeit unterhalten könnte. Natürlich auch, welcher Ansatz vielleicht etwas ungewöhlich ist. Über Musik schreiben immerhin viele. Braucht es da noch einen Blog wie diesen? Wer wie ich gleichermaßen Musik und Schokolade liebt wird mir zustimmen: Ja, den braucht es. Und deshalb nehme ich euch nun mit auf einen ersten wilden Ritt durch meine Plattensammlung - zum ... tadaaa ... Premieren-"Plattenfischen".
PLATTENFISCHEN - WAS ZUR HÖLLE?
Das Prinzip ist einfach, die Umsetzung dynamisch und erkenntnisreich. Ich stelle ein möglichst ungewöhnliches Leitthema, fische in meinen LPs, CDs und Tapes nach passenden Tonträgern und erzähle meine persönlichen Geschichten zu den einzelnen Fundstücken. Dabei kann ein kruder Mischmasch zusammenkommen, wo kein Album zum anderen passt. Aber gerade das macht es ja spannend. Am Ende laufen dann - quasi im Showdown - die Fäden zu einer thematisch passenden Schokolade zusammen. Zugegeben, der Einstieg ist nicht allzu schwer. Denn was liegt näher, als die Angel zunächst nach den zuckersüßen Werken auszuwerfen, die Schokolade im Namen tragen oder auf dem Cover zeigen. Hab ich da überhaupt etwas parat? Klar, drei bis vier Alben fallen mir direkt ein. Mal schauen, ob sich noch mehr ausfindig machen lässt... Here we go.

DA STECKT SCHOKOLADE DRIN

Beginnen wir mal mit einer meiner absoluten Lieblingsplatten. "No way out" (1967), das erste Album der CHOCOLATE WATCH BAND. Ein frühes US-Psychrock-Juwel mit starker Garage-Kante. Ungeschliffen, ehrlich, geradeaus. Es gilt zurecht als ein wichtiger Wegbereiter des amerikanischen Punk. Man höre nur mal in Songs wie "Are You Gonna Be There (At The Love-In)" rein, dann spürt man deutlich, wie visionär das Material ist. Besonders an den Instrumentalstücken des Albums hab ich mich bis heute nicht satt gehört. Zum einen "Dark Side of the mushroom" mit seinen verträumten Surf-Vibes und dann "Expo 2000", ein bedrohlicher Hybrid aus Carpenters "Halloween"-Theme und cineastischer Gunslinger-Atmosphäre. Muss man gehört haben. Leider haben ständige Besetzungswechsel die Band daran gehindert, das ernten zu können, was sie gesät haben. 1970 war daher nach nur fünf Jahren Schluss. Aber ein wiedererstarktes Interesse am Early-Psychrock aus den 60ern führte ganze 29 (!) Jahre später tatsächlich zur Reunion der Band und einem späten neuen, leider etwas durchwachsenen Album ("Get Away", 2000). Die Chocolate Watch Band ist bis heute aktiv.

Next one... Ein weiteres Album, das mir beim Thema Schokolade natürlich sofort in den Sinn kommt ist "Chocolate City" (1975) von PARLIAMENT. Also auf zur Funk-Abteilung. Ahh ja, da ist es. Was für eine wundervolle Utopie allein schon das Cover vermittelt. Die mächtigste Stadt der Welt, eingekleistert in Schokolade. Aus Washington D.C. wird Washington C.C. Der gute Lincoln sitzt plötzlich auf einem Schokothron und das White House muss sich fortan wohl "Brown House" nennen. Das schmeckt dem patriotischen US-Bürger natürlich mal gar nicht. Und genau darin liegt die Brisanz des Albums, spielt es doch klar mit dem Gedanken von Freiheit und Gleichberechtigung, in dem es Bilder eines Aufbegehrens der schwarzen Bevölkerung provoziert. So heißt es in den Lyrics des Titeltracks: "And when they come to march on ya, tell 'em to make sure they got their James Brown pass. And don't be surprised if Ali is in the White House. Reverend Ike, Secretary of the Treasure. Richard Pryor, Minister of Education. Stevie Wonder, Secretary of FINE arts. And Miss Aretha Franklin, the First Lady." Und weiter: "God bless Chocolate City and its vanilla suburbs". Eine Utopie, die die weiße Elite des Landes in die Milieus und Problembezirke der metropolen Vororte verbannt. Musikalisch gibt's feinsten Uptempo-Funk mit kalorienschweren Grooves. Anspieltipps: Der Titeltrack, "Together" und "What comes funky", bei denen Mastermind George Clinton & Co. wirklich alle Register ziehen.

Ähnliche Abteilung, andere Platte. HOT CHOCOLATE kann und darf allein aufgrund des illustren Bandnamens in diesem Reigen natürlich keineswegs fehlen. Daher zücke ich direkt mal mit "20 Hottest Hits" (1979) eine Best-of-Scheibe dieser begnadeten Soul/Funkband aus dem Regal, deren Cover kaum besser zum Thema passen könnte. Hot Chocolate waren seinerzeit allgegenwärtig und hatten neben der Black Music auch einen gewaltigen Einfluss auf die Disco-Szene der 70er-Jahre. "You sexy thing" - den Song kennt und mag doch wirklich jeder. Und "Disco Queen" ist - wie der Name schon sagt - die Krönung eines jeden Dancefloors der 70er Clubszene. Aber auch Songs aus der zweiten Reihe, wie das funkende "Girl Crazy", oder der Charthit "Every 1's ones A Winner" sind kleine, leckere Sahnehäubchen. Best-of-Alben sind ja immer so eine Sache. Aber im Falle von Hot Chocolate reicht mir das. Dieses Stück Musikgeschichte bündelt in 20 Songs alles, was die Band ausmachte. Und ist in jeder Grabbelkiste für einen kleinen Pfennig zu haben.

Bringen wir mal etwas Abwechslung ins Spiel und schlendern in Richtung Psychrock. Da gibt es doch diese eine Platte von ... wie heißen sie doch gleich ... ja ... THE ZOO. Ich muss zugeben, ich hab jahrelang immer "Presents Chocolate Mousse" gelesen. Und jetzt sehe ich, dass da "Chocolate Moose" steht. Schokoladenelch? Okay, ist ja drogiger Late-60s-Psychedelic, ich hinterfrag da mal nichts. Und stimmt, da ist ja auch ein Elch auf dem Cover. Nun gut. Dann lasst uns das gute Stück mal auflegen... Hierbei handelt es sich übrigens um die 2020er Reissue auf dem jungen Label Reel Music, das sich dem Bergen von vergessenen Psych-Perlen der 60er und 70er Jahre verschrieben hat. Schon der Opener und Titeltrack zeigt, wo die Reise lang geht. Ebenso das darauffolgende "Written on the wind". Nahezu jeder Song kommt kurz und schmerzlos auf den Punkt. Das finale "From a Camel's Hump" ist mit seinen 3:00 Minuten fast schon ein monumentales Epos. Nach 25 Minuten ist der kurzweilige Spaß dann tatsächlich schon wieder vorbei. Tja, so war das damals halt. Zeit ist Geld. Gitarrist Howard Leese sollte später mit HEART und BAD COMPANY weitaus längere (und länger beachtete) Alben veröffentlichen.

Als nächstes stolpere ich in die Alternative-Abteilung und befreie "Blood & Chocolate" vom dicken Staub des letzten Jahrzehnts. Ihr seht ELVIS COSTELLO AND THE ATTRACTIONS finden heutzutage nicht mehr regelmäßig den Weg auf meinen Plattenteller. Schade eigentlich. Im Grunde ist "Blood & Chocolate" (1986) ein durchweg ordentliches Album. Mehr aber auch nicht. Zumindest nicht für mich. Mit Sicherheit sieht das manch einer von euch anders. Klar, Songs wie "Uncomplicated" und "Battered Old Bird" mit ihrem Mix aus Rock'n'Roll, New Wave und Country - die laufen schon gut rein. Und das sehnsüchtig-verzweifelte "I want you" beschert mir nach all den Jahren immer noch eine fette Gänsehaut. Aber ein paar Rohkrepierer mischen sich ebenfalls unter. Ich glaube, ich muss dem Ganzen einfach mal wieder eine neue Chance geben. Kleine Randnotiz: Das künstlerische Artwork hat Costello (mit bürgerlichem Namen übrigens Declan MacManus) komplett in Eigenregie gestaltet. Ob er dabei mit Blut und flüssiger Schokolade hantiert hat wird vorerst wohl sein Geheimnis bleiben...

Mit hungrigen Grooves und satten Funkbässen wartet das nächste schokoladige Fundstück auf. Servierte ich vorhin noch eine kalorienschwere Hot Chocolate, gibt es zu allem Überfluss nun noch mal Flüssigschokolade, in Form einer 'soul'foodigen CHOCOLATE MILK. Ich hab mal das das selbstbetitelte vierte Album von 1976 aus dem Regal gefischt - mit seinem für die damalige Zeit ganz schön anrüchigen Cover-Artwork. Chocolate Milk stammten aus New Orleans und waren das Baby von Musiker und Produzent Allen Toussaint, einem der berüchtigtsten Plattenproduzenten der 60er Jahre und Entdecker der legendären The Meters. Vor allem in den 70er Jahren brachte die Band einige fantastische Alben raus, deren guter Ruf bis in die frühe Hiphop-Szene der 80er nachhallen sollte. Zu dem Zeitpunkt war die Chocolate Milk allerdings leider schon längst ausgeschlürft, setzte aber 1982 mit der Single "Who's Getting it Now" noch einen fetten Paukenschlag vor dem Abgesang. Die Platte, die ich gerade in den Händen halte, ist nun ist mit Sicherheit nicht DER Klassiker der Band, wohl aber ein grundsolides Soul/Funk-Album mit allerlei heißen Groovemonstern. "Let the Music Take your Mind", "Pluck it". Da brutzelt das Fett in der Pfanne... aber ganz gewaltig. Wer laktosetolerant ist, sollte sich das ruhig mal geben.

Für die Veredelung der Schokomilch sorgt im Folgenden ISAAC HAYES, der uns mit seinem siebten Studioalbum "Chocolate Chip" das perfekte Topping auf's Sahnehäubchen setzt. Dieses Zuckerstück von 1975 stand ganz im Zeichen der Veränderung. Nicht nur hatte sich Hayes gerade eben von seinem langjährigen Label Stax Records getrennt (das kurz darauf bankrott gehen sollte), sondern fügte seinem Soul auch eine gehörige Portion Funk-Fett und Disco-Zuckerwatte hinzu. Das machte seinen Sound offener und gefälliger ... böse Zungen behaupten allerdings auch etwas beliebiger. Hayes berüchtigte Baritonstimme blieb aber weiterhin das wichtigste Trademark und entfaltet insbesondere bei langsameren Songs wie "Come live with me" seine volle Wirkung von Verlangen und tiefster Sehnsucht. Ohne Ende Gänsehaut - trotz allerwärmsten Sounds. Bei Songs wie "Chocolate Chip", das in einer Vocal- und Instrumentalversion enthalten ist, und "I can't turn around" ist das Blut dann aber schnell wieder am Kochen. Vor allem der Titeltrack ist allerfeinster Funk, mit grandiosen Bassläufen. "Chocolate Chip" war das letzte richtig erfolgreiche Album von Hayes und dominierte seinerzeit die R&B-Charts. Spätestens mit seinem Wechsel zu Polydor verlor das Ausnahmetalent aus Tennessee dann an musikalischer Strahlkraft, geriet in die Fänge von Scientology und verdingte sich aufgrund von Geldproblemen mehr oder weniger erfolgreich als Schauspieler. Erinnert sich jemand noch an seinen Auftritt als 'Duke von New York' in "Die Klapperschlange"?

Wir haben über Funk gesprochen, wir haben über Psychrock gesprochen, über Soul, Disco und Rock'nRoll. Was ist aber mit der Musik, die tatsächlich dort her kommt, wo die Kakaofrüchte aus den Bäumen wachsen? Für eine solche Reise empfiehlt sich "MUSIC FROM THE CHOCOLATE LANDS", die - wie viele weitere erstklassige Compilations - auf dem Weltmusik-Label Putumayo erschienen ist. Die Reise führt durch sämtliche Länder des Kakaogürtels und klammert einzig und allein die für die Schokoladenwelt so bedeutungsvolle Dominikanische Republik aus. Geboten wird ein wilder Mix aus Latin, Jazz, Funk, Soul, Reggae und Bossanova - gewürzt mit landestypischer Folklore, die sich - wie das Lieblingswetter des Kakaos - feuchtfröhlich, heiß und fiebrig zeigt. Anspieltipps sind der Beitrag des haitianischen Künstlers Beethova Obas und das anschließende "Chocolate Sabroso" des kubanischen Songwriters Alfredo "Chocolate" Armenteros. Der perfekte Soundtrack für ein Schokoladentasting. Wo wir beim Stichwort sind:
DIE SCHOKOLADE DANACH

Lange habe ich gegrübelt, welche Schokolade ich beim allerersten Plattenfischen vorstellen könnte. Da es hier ja schon beim "Fischen" an sich um Schokolade ging, passt thematisch im Grunde alles. Nun habe ich soeben erst bemängelt, dass mir auf der Putumayo-Compilation die Dominikanische Republik zu kurz kommt, die Heimat des geschmackvollen "Santo Domingo"-Edelkakaos und weltweiter Pionier für nachhaltigen Kakaoanbau. Ich glaube, das möchte ich honorieren - und zwar mit einer meiner absoluten Lieblingsschokoladen: "Caramel Inka Salz" von VIVANI. Wer nun denkt, dass ich in Erdkunde nicht aufgepasst habe und die guten alten Inka fälschlicherweise in der Dom.-Rep. verorte, keine Sorge. Das "Inka" im Namen bezieht sich auf das pinke Steinsalz, mit dem die Schokolade verfeinert wird. Es wird auf Hochterrassen in den Anden gewonnen, hat eine wunderschöne kristalline Struktur und einen ganz fantastischen Geschmack, der besonders in Kombination mit den süßen Karamellsplittern gut zur Geltung kommt. Insgesamt muss ich sagen, dass der Geschmack der "Caramel Inka Salz" schon ziemlich einzigartig ist. Das liegt mit Sicherheit auch an dem enthaltenen Kokosblütenzucker, mit dem die Sorte gesüßt wird. Eine spannende und vor allem sehr natürliche Alternative zu herkömmlichem Zucker, mit Noten von Melasse, Malz und Karamell. Der Kakaogehalt (dominikanischer Trinitario) schlägt mit 44 % zu Buche, was für eine Vollmilchschokolade schon ziemlich ordentlich ist. Auch dies sorgt für einen intensiven Geschmack. Herb, süß, salzig - diese Schokolade kann so ziemlich alles. Wer jetzt überprüfen will, ob ich nicht zu viel verspreche, findet die Sorte in den allermeisten Bioläden. Ich kaufe sie immer beim Denns-Markt um die Ecke...
Und nun Hand auf's Herz: Hat euch der erste "Plattenfischen"-Trip gefallen? Welches Thema soll ich als nächstes beackern? So einige Ideen hätte ich da schon... Aber lasst mal hören!
Euer Axel
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